tw
Mon 29 of Aug, 2016 [15:13 UTC]
menu
Shoutbox

Vortrag Koerper

Critical mass-Guten Tag, herzlich Willkommen!


Ich möchte Sie herzlich bitten, sich in das gelb-schwarz-markierte Feld zu stellen, wenn sie mir zuhören möchten. Zum einen muss ich dann nicht so schreien, zum anderen ist so die Konzentration zwischen uns besser, ich denke, wir sind einander dann ein besseres Gegenüber.
Zur Zeit führe ich hier in Berlin eine sechsteilige Performance-Reihe? durch mit dem Titel “critical mass“. Diese Reihe befasst sich mit dem Phänomen der Massenbildung, wie sie sich bei Grossveranstaltungen wie der Fussball-WM manifestieren.
Diese Performance- oder Aktionsreihe versucht herauszufinden, warum sich normalerweise träge träge Menschen in einen solchen Taumel stürzen. Ist der Fussball überhaupt wichtig, oder liegt das Bedürfnis nach diesem Taumel ausserhalb des Themas? Was sind das für Mechanismen, die für das Zustandekommen einer Menschenmasse verantwortlich sind? Was passiert, wenn sich diese Masse verselbständigt, welchen Gesetzmässigkeiten unterliegt sie und welche Macht kann sie entwickeln? Welche energetischen Wechselwirkungen werden freigesetzt zwischen der Masse und dem Individuum?

In diesem Vortrag wird der Übergang vom Individuum zum Massekörper untersucht.

Schlüsselerlebnis
Mein Interesse für das Phänomen von Massekörpern, also von Menschenmassen die als eigener, gemeinsamer Körper bzw. Organismus funktionieren und weiter wachsen, stammt aus einer ganz persönlichen Erfahrung. Als ich letztes Jahr gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte etwas zur WM zu machen, erinnerte ich mich daran, was mir selber während einer Großveranstaltung passiert ist, und ich war elektrisiert.
Ich war damals auf einer World-Economic-Forum-Demonstration? in Genf, ich kannte weder die Stadt noch die Leute um mich herum und bewegte mich in einer anonymen Masse von Menschen. Plötzlich brannten die ersten Autos, neben mir schlug jemand die Scheibe eines kleinen Schreibwarenladens ein, alle um mich herum wurden von einem Rausch ergriffen.
Ich streckte die Hand aus und klaute einen Kugelschreiber. Es hat lange gedauert, bis ich begriff, was passiert war. Ich selber als Individuum existierte in diesem Moment nicht mehr, sondern ich bin voll aufgegangen in dem Organismus der Masse und seiner eigenen Dynamik. Dieser Verlust der eigenen Identität hat mcih weit mehr geschockt, als die Scham über mein „unehrenwertes Handeln“. Jetzt, mit dieser Performance-Reihe? hatte ich die Möglichkeit, den Mechanismen von Masse auf den Grund zu gehen und herauszufinden, was Masse ist und wie sich dieser Rausch und die Energie von Einzelpersonen auf eine Menschenmasse, beziehungsweise andersherum von einer Menschenmasse auf Einzelpersonen überträgt.

Ein Massekörper – was ist das?
Ein Massekörper ist nicht nur eine Ansammlung von Menschen. Ein Massekörper bezeichnet die Ansammlung von Menschen, bei der eine „kritische Masse“ erreicht wird. Ab dieser „kritischen Masse“ fängt der Massekörper eigenständig an, weiter zu wachsen. Die Masse verselbständigt sich und wird zu einem eigenen Organismus. Damit die kritische Masse erreicht werden kann, benötigt die Menschenansammlung einen sehr hohen Energiepegel. Dieser energetische Zustand wird durch verschiedenen Mechanismen von den Individuen und der Menschenmasse in einem wechselseitigen Energieaustausch generiert. Die dabei freigesetzte Energie ist bei weitem grösser, als die Summe der Energie von den beteiligten Einzelpersonen. Die Energie von Masse wächst exponential.Und um diese Mechanismen, die für das freisetzen der Energie verantwortlich sind, geht es in meiner Performance-Reihe? „critical mass“.Ich habe sechs Mechanismen ausfindig machen können, die mir hauptverantwortlich erscheinen für das Zustandekommen von kritischer Masse. Ich vermute, es finden sich noch mehr, aber hier wollen wir uns auf diese sechs beschränken. Die sechs Mechanismen verbergen sich unter den Begriffen:
Macht
Ritual
Geist
Kult
Ekstase und
Körper
Und ich sage verbergen, weil diese und andere Mechanismen uns Menschen seid Urzeiten unbewusst zugrunde liegen. Diese Mechanismen bilden eine Grundstruktur, eine alte Sprache, über die wir Individuen uns unbewusst verständigen können und konnten, noch bevor die verbale Sprache existierte. Für jede Kommunikation untereinander gibt es andere versteckte Mechanismen, für die kritische Masse sind es die von mir erwähnten Begriffe. Und diese Begriffe funktionieren wie Anbindungsstellen zwischen den Menschen.
Je mehr von diesen Anbindungsstellen eine Bindung zwischen Ihnen und mir eingehen, je mehr dieser Mechanismen aktiviert werden, desto energetischer wird die Masse.
Im folgenden möchte ich die Begriffe kurz erklären.

Macht: Macht ist natürlich das Gefühl von Grösse, Wichtigkeit und von Sicherheit, denn man hat Macht über anderes. Obwohl die individuelle Macht in der Masse schrumpft, steigert sich das Gefühl von Macht mit dem Anwachsen der Menschenansammlung. Je mehr der Mensch als Individualkörper in die Masse übergeht, je weniger er als Individuum besteht, desto grösser ist sein Gefühl von Macht. Das scheint paradox, aber es funktioniert, denn- der einzelne Mensch fühlt das Gefühl des gesamten Organismus Masse.

Ritual: Das Ritual ist ein Signal, mit dem Menschen eine Verbindung untereinander eingehen. Rituale sind Handlungen mit oder ohne Gegenstände, die als gesellschaftlicher Code uns allen bekannt sind. Sie schaffen Vertrautheit und Beziehung zwischen den Menschen oder zwischen dem Mensch und dem Ort, an dem sie ausgeführt werden.
Auf die Fußball-WM übertragen heißt das: Wenn ich sehe, dass jemand dort drüben eine Fahne schwenkt, dann ist das für mich der Signalreiz, das auch zu tun. Und obwohl wir uns eigentlich nicht kennen, haben wir bereits die erste Gemeinsamkeit. Schon wissen wir, wir sind Teil einer großen, weitläufigen Familie. Und in dem Moment, in dem sich das Gefühl von Vertrautheit einstellt, sind wir bereits ein wenig hinübergezogen zur anderen Person bzw. bei einer Masse zu dessen Organismus. Bereits befinden wir uns auf dem Übergang vom Individualkörper zum Massekörper

Geist: Geist ist die Idee, die den Anreiz für die Ansammlung von Menschen ausgelöst hat. Die Idee die hinter einer Masse steckt, das Thema der Masse. Das kann wie hier der Fussball sein, das kann auch ein Roger Waters-Konzert? in Berlin sein, oder der Dalai Lama oder der Papst, das Motiv der Fremdenfeindlichkeit oder der Wunsch nach dem Umsturz eines Regimes.

Kult: Kult ist die Verankerung der Idee und der dazugehörigen Rituale in einer Gesellschaft. Die Idee wird von Geistlichen, Politikern, von Idolen, Führern oder der Wirtschaft durch deren Medien verbreitet und in der Gesellschaft verankert. Das ist Kult. Bei der Fußball-WM wäre dies zum Beispiel das Fernsehen, die Zeitung, die FIFA und natürlich gerade hier in Berlin mit seinem nachgebauten Stadion –die Wirtschaft.

Ekstase: Die Ekstase dient dazu, unser bewusstes Ich aufzulösen und mittels des Rausches ins unbewusste zu gelangen. Sich selber abzugeben ist unsere Chance, große Gefühle unmittelbar ausleben zu können, von denen wir sonst aufgrund unserer permanenten Selbstreflexion gar nicht in der Lage sind, sie zu ertragen oder zu verstehen. Weil Emotionen immer körperübergreifend sind, können wir sie als Individualkörper gar nicht als Ganzes erfassen. Sie überfordern uns. Die Ekstase erhöht die Durchlässigkeit des eigenen Körpers, der eigenen Körpergrenze. Wir geben unser Abgrenzung zum Anderen auf und erleben die Emotion im Organismus Masse als Ganzes. Das ist der Rausch.

Körper: Der letzte meiner Begriffe ist der Körper. Unter diesem Begriff steckt unser physischer und unser psychischer Körper. Also de Körper aus Fleisch und Blut und der Sitz unserer Seele oder unseres Bewusstseins. Um den Körper aber zu verstehen und damit in der Lage zu sein, zu verstehen wie der Übergang vom Individualkörper zum Massekörper passiert, müssen wir klären, was ein Massekörper wirklich ist!

In unserer Vorstellung verstehen wir im allgemeinen unter einem Körper immer noch den physischen Körper aus Fleisch und Blut. Man kann ihn anfassen, und er endet an meiner Haut. Meine Haut bildet die Grenze zwischen mir und der Aussenwelt, zwischen mir und den anderen. Diese Vorstellung von der starren Körpergrenze mit der Haut als Hülle hat sich zum Glück gewandelt und man hat erkannt, dass ein Körper nicht einfach an der Aussenhaut endet, sondern je nach Situation darüber hinausgeht, zum Beispiel jetzt gerade bis zu Dir, denn ich stehe gerade mit Dir im Kontakt. Unsere Körper besitzen also keine klare, starre Grenze, sondern haben eine durchlässige Membran. Das bedeutet, das äußere Einflüsse wie die Emotionen von anderen, aber auch Geräusche, der Tastsinn, die optische Wahrnehmung oder aber auch chemische Einflüsse und energetische Einflüsse die Membran der Körper in beide Richtungen durchdringen können. Diese Durchlässigkeit des Körpers ist dessen Mittel zur Kommunikation mit anderen Körpern und mit dem ihn umgebenden Raum. Und das ist natürlich die ureigenste Form der Kommunikation, die wir haben.


Kommunikation
Bevor sich bei den Menschen die verbale Sprache entwickelte, funktionierte die Kommunikation rein über die Körpersprache. Ich vermute, dass wir zu dieser Zeit noch sehr stark als gemeinsamer Organismus lebten, denn es hatte sich noch kein Bewusstsein entwickelt. Und dann ist damals etwas passiert. Das Bewusstsein des Menschen und damit dessen Individualität entwickelte sich zeitgleich und abhängig von der verbalen Kommunikation. Und mit der Entstehung von verbaler Sprache begann der Mensch, sich vom gemeinsamen Organismus zu lösen. Der Mensch begann, Dinge und Empfindungen in Worte zu fassen. Wenn er einem anderen Menschen etwas mitteilen wollte, so musste er zuerst dieses Ding oder sich selbst vom anderen unterscheiden und es oder sich davon als etwas „anderes“, eigenes abgrenzen. Etwas zu formulieren bedeutet genau das, es gegen das andere abzugrenzen. Dazu muss man dieses Ding oder sich selbst reflektieren können, dazu braucht es ein Bewusstsein. Und durch diese Reflexion des eigenen Denkens und Handelns, ausgelöst durch verbale Sprache, bildete der Mensch ein Gegenüber. Er musste sich – wollte er etwas formulieren – automatisch vom Organismus der Anderen abgrenzen.
Er gewann dadurch seine Individualität und das Bewußtsein als Mensch, aber er verlor die Gemeinschaft des unbewußten Organismus.
Es ist nicht so, dass wir die ursprüngliche Kommunikation des Körpers verloren hätten. Solange wir nicht körperlos sind, bleibt die Grundstruktur der Körpersprache und des gemeinsamen Organismus angelegt, sie liegt nur die meiste Zeit brach.

Verantwortung
Mit dem neu gewonnenen Bewusstsein kam auch gleich noch etwas weiteres hinzu: Das Gefühl für die eigene Verantwortung. Auf einmal hatte der Mensch Verantwortung über sein eigenes Handeln, denn für das Bewusstsein muss man das eigene Handeln reflektieren. Und damit begann der Selbstzweifel. Der Preis für die Loslösung vom Organismus und das Entstehen der Individualität bedeuteten Verantwortung und Zweifel an der eigenen Person.

Die Bürde
Ein Individuum zu sein ist schwer. Je schwerer diese Bürde wiegt, desto empfänglicher ist diese Person für Angebote, diese Bürde loszuwerden. Natürlich ist das Gewicht der Bürde abhängig von der jeweiligen Situation des Menschen und damit sehr unterschiedlich. Im Organismus – wir erinnern uns- existierte diese Bürde nicht. Niemand war als einzelne Person für etwa verantwortlich. Manchmal wünschen wir uns, die Verantwortung und die Selbstzweifel abgeben zu können, denn – wir erinnern uns. Unser Körper erinnert uns n den Zustand des gemeinsamen Organismus. Dort erleben wir Gefühle und Handlungen unmittelbar, denn Gefühle und Handlungen müssen nicht mehr hinterfragt werden. Wie ich Anfangs einmal sagte: sich selbst abzugeben ist unsere Chance, große Gefühle unmittelbar zu erleben. Gefühle, von denen wir sonst aufgrund unserer permanenten Selbstreflexion gar nicht in der Lage sind, sie zu ertragen oder sie zu verstehen. Und ein weiteres treibt uns in die Masse: Es ist das Gefühl von Familie, dass wir nicht lassen können: Der Organismus Masse gibt uns das Gefühl, nach Hause zu kommen. Wir treten ein, ziehen die Bürde der Individualität ab und dürfen sein: ganz unmittelbar.

zurück

Powered by TikiWiki
RSS Wiki rss Articles RSS Image Galleries RSS File Galleries
[ Execution time: 0.15 secs ]   [ Memory usage: 13.45MB ]   [ 36 database queries used ]   [ GZIP Disabled ]   [ Server load: ? ]